- Geschichten von der Angst Teil 4 -
Ich habe eine Mission. Und die Mission lautet: Frauchen bleibt. Und bisher bin ich damit echt erfolgreich. Ich schlafe auf Frauchens Beinen, ich sitze auf Frauchens Schoß, ich begleite Frauchen in jeden Raum und passe ganz genau auf, dass Frauchen keine Chance hat ohne mich zu verduften. Ich bin ein glücklicher Hund. Inzwischen darf Frauchen mich auch wieder streicheln. Ich will ja nicht so sein. So vergehen ein paar Tage und Frauchen und ich freuen uns auf ein gemeinsames Wochenende. Also ich liebe meine Arbeit, aber Wochenende ist auch toll. Ausschlafen, noch mehr schlafen und meinem Brüderchen das Essen klauen.
Achja mein Brüderchen. Von dem hab ich ja noch gar nichts erzählt. Ja, ich habe einen kleinen Bruder. Mein kleiner Bruder ist viermal so groß wie ich, mindestens genauso nervig und ganz schön trottelig. Ich weiß echt nicht was Frauchen und Herrchen da geritten hat, den aus dem Tierheim anzuschleppen... Aber jetzt ist er nun mal da und manchmal ist es auch ganz nett mit ihm irgendwas auszuhecken. Wenn es darum geht Mülleimer auszuleeren, andere Hund anzukläffen oder irgendwas kaputt zu machen sind wir ein absolutes Dreamteam. Besonders weil er immer den meisten Ärger abbekommt. Hehe. Auf jeden Fall ist mein Bruder ein bisschen "schwierig" und zum Glück habe ich deshalb zumindest in der Arbeit meine Ruhe vor ihm. Da ist so ein bisschen Bruder am Wochenende und nach Feierabend dann auch wieder ok.
Also Frauchen und ich fahren nach Hause und haben auch Brüderchen eingesammelt. Der Looser muss da immer im Kofferraum sitzen. Mein Platz ist natürlich vorne, da wo die Herrschaften kutschiert werden. Wir fahren also nach Hause und verbringen noch einen gemütlichen Abend beim irgendwas-angucken. Ich natürlich auf Frauchens Bauch. Brüderchen am Boden, wie sich das gehört. Seelig schlummere ich auf Frauchens Bauch ein und werden irgendwann von ihr ins Bett getragen. Braves Frauchen.
Ich rolle mich auf meinem Platz zwischen Frauchens Knien zusammen und lege meinen Kopf auf ihren Oberschenkel. Perfekt so. Gut, Frauchen darf sich halt die ganze Nacht nicht bewegen und jammert dann morgens über steife Knochen und Rücken, aber da kann ich ja nichts dafür, dass die schon so alt ist. Das hindert mich auf jeden Fall nicht daran, friedlich einzuschlafen.
Ich schlummere so vor mich hin, bis ich von einem extrem nervigen Geräusch geweckt werde. So ein Gequietsche wie von einem rostigen Gartentor. Unwillig hebe ich vorsichtig ein Augenlied, aber ich weiß schon woher dieses nervige Gequietsche kommt. Zappelnd wie ein Eichhörnchen auf Kaffee hüpft mein dämlicher Bruder neben dem Bett abwechselnd auf jede seiner vier Pfoten und spielt dabei rostiges Gartentor. "Nicht dein Ernst, oder?", denke ich und schließe das eine Auge wieder. Aber Frauchen hat die Nervbratze anscheinend auch gehört, auf jeden Fall bewegt sie sich stöhnend und zerstört damit meine perfekte Schlafposition. Na ganz toll. Jetzt bin ich wach. Frauchen sieht mich an und jammert, dass sie sich gar nicht mehr rühren könne. Leider rührt sie sich aber trotzdem weiter und ich wandere missmutig auf Herrchens Kopfkissen. Lieblingsplatz Nummer zwei, wenn der nicht da ist. Ich lasse mich fallen und schließe die Augen wieder. Viel zu früh zum aufstehen und überhaupt habe ich Wochenende. Brüderchen hat inzwischen begeistert festgestellt, dass er Frauchen wachgekriegt hat und steigert sich zum rostigen Scheunentor. Genervt öffne ich die Augen wieder und krieche unter das Kopfkissen. Vielleicht hat man wenigstens da seine Ruhe? Oh ja, hier ist es friedlich. Aber nur kurz. Nicht lange darauf höre ich Frauchen eindringlich meinen Namen rufen. Vorsichtig luge ich unter dem Kopfkissen hervor. Frauchen steht im Schlafanzug, mit wild abstehenden Haaren und halb geöffneten Augen vor dem Bett und hält eine Leine in der Hand. "Gassi?" fragt sie mich und gähnt dabei herzhaft.
Wie Gassi? Jetzt? Ich muss aber gar nicht und müde bin ich auch. Warum will Frauchen denn quasi noch mitten in der Nacht Gassigehen? Der Grund kommt kurz darauf vor Begeisterung wild hüpfend ins Zimmer gestürmt und kann sich immer noch nicht still halten. Ah. Ich vergaß. Die Nervensäge von Brüderchen ist ja Frühaufsteher. "Tja, selber schuld Frauchen.", denke ich innerlich grinsend und bleibe unter meinem gemütlichen Kopfkissen liegen. "Bist du sicher?", fragt mich Frauchen und schielt dabei neidisch auf mein Kopfkissen. "Ich gehe jetzt." Jaja, denke ich nur und schließe wieder die Augen. Mach ruhig. Ich scheuch dich dann später nochmal raus, wenn ich dann mal muss. Aber jetzt schlaf ich lieber noch ein bisschen. Frauchen kommt ja bald wieder und kuschelt sich dann neben mich. Seelig schlummere ich wieder ein, während ich das "Klack" der Eingangstüre höre. Und das mit der Mission war irgendwie vergessen.
Wenn Hunde daran gewöhnt werden sollen, alleine zu bleiben, wird allgemein empfohlen sich immer kurz zu entfernen und zurückzukommen, bevor der Hund anfängt zu bellen, zu rufen o.ä. Ganz brav habe ich bei Cookie, als er noch ein Welpe war, genau das probiert. Und es hat natürlich nicht funktioniert. Ich hab noch diverse andere Tipps aus dem Internet und aus Ratgebern probiert und tatsächlich hat auch davon nichts geholfen. Sobald sich die Haustür schloss, fing er an zu schreien, bis ich wieder da war. Egal wie lange ich weg war. Egal welche Tricks ich vorher und währenddessen versuchte. Ich hatte mein Diktiergerät in der Wohnung laufen gelassen und musste mir hinterher jedes Mal todunglücklich das jämmerliches Gejaule eines armen Hundebabys anhören.
Tja. So ist das mit den guten Ratschlägen aus dem Internet. Und deshalb gibt es auch kein Pauschalrezept zum Umgang mit Trennungs- und Verlustängsten. Jede/r benötigt seinen eigenen individuellen Umgang mit der Situation. Für so etwas gibt es zum Beispiel auch Therapeuten. Aber ich kann sagen, welche Zutaten grundsätzlich in dem jeweiligen Rezept vorkommen sollten: Sicherheit, Vertrauen und Zeit. Dabei sollte man beachten, dass Trennungs- und Verlustängste immer mind. zwei Personen betreffen und eben nicht nur die Person, die Angst hat!
Sicherheit
(Betrifft Eltern, Partner, Freunde und Frauchen, d.h. die Person, die auf der "anderen Seite" der Verlustangst steht) Wir müssen dem Kind oder Jugendlichen Sicherheit geben, das kann zum Beispiel durch Struktur, Rituale, Zuwendung, Gespräche oder Absprachen geschehen. Jede/r benötigt andere Dinge, um sich "sicher" in der Beziehung zu fühlen und Vertrauen aufbauen zu können.
Vertrauen
(das betrifft die Person, die Angst hat) Um Trennungs- oder Verlustängste abzubauen, wird in erster Linie Vertrauen benötigt. Und wie baut man Vertrauen auf? Hier sind wir wieder bei der Konfrontation mit der Angst. Wir können nur die Erfahrung machen, dass nichts Schlimmes passiert, wenn wir es "ausprobieren". Das bedeutet, wir müssen Risiken eingehen und uns "trennen". Damit diese Konfrontation auch positiv verläuft und nicht in dem bekannten Teufelskreis endet, ist die zuerst beschriebene "Sicherheit" wichtig.
-> deshalb können Trennungs- und Verlustängste wirklich effektiv nur unter Einbeziehung "beider Parteien" behandelt werden!
Zeit
Geduld, kleine Schritte und noch mehr Geduld, aber nicht stehenbleiben!
Wie haben Cookie und ich das nun geschafft? Nun, ich habe resigniert, die Ratgeber ignoriert und meinen Hund an der Haustür innig abgeschmust, um mich von ihm zu verabschieden. Dann habe ich "Bleib" gesagt, und bin gegangen. Cookie hat nicht mehr geschrien, sondern sich stattdessen ein Nest aus meinen Schuhen gebaut und sich direkt vor der Haustür schlafen gelegt. Da hat er dann friedlich geschlafen, bis ich wieder da war. Gut ein Paar Schuhe habe ich in dieser Zeit verloren, weil er sie gemütlich in seinem Nest zerkaut hat, aber das war es wert. Irgendwann ist er dann freiwillig auf der Couch liegen geblieben und musste auch die Tür nicht mehr bewachen. Und heute läuft es ähnlich. Ich lasse ihn einfach so anhänglich sein, wie er will (ich find das ja eigentlich auch echt toll) und relativ schnell ist alles wieder gut. Spätestens wenn Rex (sein Bruder) um 8 Uhr am Sonntag jetzt sofort Gassi gehen will...