- Geschichten von der Angst Teil 1 -
Ein grauenhaftes Gebrüll reißt mich unsanft aus meinem wohlverdienten Schlummer. WROOOOOAAAAAHHHHHHHH!! Der Schreck fährt mir tief bis in die Schwanzspitze und sofort sitze ich aufrecht auf meinem Platz, mit gespitzten Ohren und zuckender Nase. Was bei allen Leckerlis war das??! WRRROOOOOOAAAAAHHHHH! Das Gebrüll wird noch lauter, es scheint näher zu kommen. Mein Herz beginnt wie wild zu klopfen und eiskalte Schauer laufen meinen Rücken hinunter. "Mama?" , flüstere ich zaghaft in Gedanken, bloß nicht zu laut, nicht dass das Monster noch meine Gedanken hört! Verzweifelt sehe ich mich nach Frauchen um. Da kommt sie auch schon zur Tür herein, aber sie ist nicht alleine. Mit ihr betritt das wohl grauenerregendste Monster das Zimmer, das man sich vorstellen kann.
Mein Herz beginnt noch schneller zu klopfen und das gleichzeitig so fest, dass ich das Gefühl habe nur noch aus rasendem Herzklopfen zu bestehen, von den Augenbrauen bis zur eingeklemmten Schwanzspitze. Ohne, dass ich etwas dagegen tun kann beginne ich unkontrolliert zu zittern und ich merke, wie sich meine linke Pfote wie von selbst nach oben bewegt, bis sie abgewinkelt, kurz unter meiner Schnauze leicht zitternd stehen bleibt. Vor ein paar Augenblicken habe ich noch seelenruhig und friedlich vor mich hin geschlummert und nun sehe ich ganz armselig, mit angezogener Pfote und bibbernd vor Angst meinem Ende entgegen. War schön mit euch, machts gut!
Das Monster starrt mit boshaften, leuchtenden Augen in den Raum und bewegt sich schnell von einer Seite zur anderen. Bei seinen Bewegungen vernichtet es alles, was es wagt, sich ihm in den Weg zu stellen mit ohrenbetäubendem Gebrüll. Nichts scheint vor ihm sicher zu sein. Ich würde so gerne wegrennen, aber ich traue mich nicht, mich zu rühren. Versteinert sehe ich zu, wie das Monster durch den Raum pflügt und sich von nichts aufhalten lässt. Aber es entfernt sich langsam von meinem Platz. Wenigstens scheint es mich noch nicht entdeckt zu haben. Schnell blicke ich hilfesuchend zu Frauchen und muss mit Entsetzen feststellen, dass das Monster sie bereits erwischt hat. Es hält sie fest umklammert und zieht sie bei jeder Bewegung mit sich. Mein armes Frauchen hat keine Chance zu entkommen. "HILFE!", ist der einzige, verzweifelte Gedanke, zu dem ich noch fähig bin. Aber es ist niemand mehr hier, der mir noch helfen kann. Ich bin auf mich allein gestellt.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und versuche mich aus meiner Erstarrung zu lösen. Ich muss hier weg! Wenn Frauchen schon nicht mehr zu retten ist, muss ich wenigstens versuchen mich selbst zu retten! Mit größter mentaler Kraftanstrengung schaffe ich es, meine zitternde linke Pfote aus der Luft auf den Boden zu drücken und vorsichtig einen Schritt nach vorne zu setzen. Hektisch blicke ich zu dem Monster, das weiter seine Schneise der Verwüstung durch den Raum zieht. Gut, es hat nichts bemerkt. Ich atme noch einmal tief durch und dann stürme ich los, als wäre eine ganze Horde Löwen hinter mir her. Ich renne so schnell ich kann und halte gleichzeitig den Atem an, um ja kein Geräusch zu verursachen. Auf leisen, schnellen Pfoten erreiche ich die Zimmertür, die zum Glück offen steht. Schnell hindurch! Vielleicht schaffe ich es ja doch zu überleben? Ohne mich umzublicken renne ich weiter, so schnell mich meine Pfoten tragen können. Ich bin noch nicht in Sicherheit. Da! Eine Tür! ... Oh nein, sie ist geschlossen. Hektisch laufe ich weiter. ... Da! Oh Leckerli sei Dank! Die nächste Tür steht offen. Schnell hinein und einen sicheren Platz suchen. Als ich hineinhusche wird das schreckliche Gebrüll hinter mir sofort etwas leiser. Ich blicke mich keuchend um. In dem Raum stehen Schränke (natürlich geschlossen), ein Tisch und ein paar Stühle. Kein wirklich gutes Versteck, nirgends. Ich lausche in den Flur. Das Gebrüll wird wieder lauter!! Die Panik erfasst mich vollends und ich beginne sofort wieder zu zittern wie lange Schlappohren bei Sturmböen.
Jetzt ist alles aus! Das Monster hat mich gehört und sucht nach mir. Es wird kommen und mir Schreckliches antun! In Gedanken male ich mir aus, wie es mich in diesem Raum findet, in die Ecke drängt und dann langsam und qualvoll - oh nein, das ist viel zur furchtbar, um überhaupt daran zu denken. Ich bin zu jung und knuddelig zum Sterben! Gibt es denn gar keinen Ausweg? Ich sehe mich hektisch ein weiteres Mal um. Vergeblich. Der Raum hat keinen zweiten Ausgang. WWWRRRRRROOOOOOOOOAAAAAHHHHH!!! Das Geräusch ist fast direkt hinter mir und nähert sich schnell. Für einen kurzen Augenblick denke ich, das wars, ich fall einfach tot um, dann habe ich es hinter mir ... aber im nächsten Moment übernehmen meine Instinkte das Ruder und ich flüchte mich mit einem todesmutigen Sprung zum einzigen halbwegs sicheren Ort, der in meiner Reichweite liegt. Ehe ich drüber nachdenken kann, wie anstrengend, gefährlich und schwierig so ein Sprung auf einen Stuhl so sein kann, sitze ich schon darauf und blicke mit bebendem Herzen auf das Monster herab, das sich soeben geifernd auf die Stelle gestürzt hat, an der ich vor einem Augenblick noch gesessen habe. Bei allen vergrabenen Knochen! Das war knapp. Danke, Instinkte!
Das Monster wütet wie wild unter dem Stuhl hin und her, brüllt seiner verlorenen Beute hinterher - mir - . Aber so sehr das Monster es auch versucht, es kommt nicht auf den Stuhl hinauf. Trotzdem kann ich mich vor Angst nicht rühren. Der Schrecken mag mich zwar nicht erwischen können, ist aber viel, viel, viel zu nah. "Bitte geh weg.", denke ich flüsternd. Bloß leise bleiben und nicht bewegen, ich will das Monster nicht unnötig provozieren. Hilfesuchend blicke ich zu meinem armen, gefangenen Frauchen. Was hat das Monster ihr angetan? Sie atmet noch und bewegt sich auch. Also ist sie immerhin am Leben. Aber das Monster scheint irgendwas mit ihrem Kopf gemacht zu haben. Anstatt zu schreien, zu weinen oder jämmerlich zu winseln, wie es sich gehört, wenn man gleich von einem furchtbaren Monster verschlungen wird, ... lächelt sie! Oder sind das vor Entsetzen verzerrte Züge, die nur aussehen, als würde sie lächeln? Vor Angst schlotternd sehe ich, wie sie immer noch lächelnd ihren Mund bewegt. Will sich mein geliebtes Frauchen von mir verabschieden?
"Ich liebe dich auch Mama!", denke ich innerlich schluchzend und will verzweifelt die Augen schließen, um nicht miterleben zu müssen, was als nächstes passieren wird. Aber ich schaffe es nicht. Ich schaffe es nicht einmal, den Blick abzuwenden. Ohne irgendetwas dagegen tun zu können, starre ich dem Grauen entgegen. Und über das Brüllen des alles verschlingenden Monsters hinweg höre ich leise die Stimme von Frauchen. „Ach Bärchen, was hast du denn? Ich staubsauge doch nur!", sagt sie und führt den Staubsauger weiter mit rythmischen Bewegungen durch den Raum.
- Fortsetzung folgt -
Kinder und Jugendliche erleben die verschiedensten Ängste beim Aufwachsen. Das ist normal und tatsächlich ein wichtiger Teil ihrer Entwicklung. Ängste schützen uns vor Gefahren, geben uns Kraft und Energie (z.B. kann Cookie mal ohne Probleme auf einen Stuhl springen) und zeigt uns auch auf, was uns wirklich wichtig ist. Die Bewältigung "normaler" Ängste im Entwicklungsverlauf führt dazu, dass die Kinder und Jugendlichen die Angst als ein normales Gefühl kennenlernen und entsprechende Strategien entwickeln, um ihren Ängsten im Leben zu begegnen.
Entwicklungstypische Ängste (nach Schneider 2004) sind zum Beispiel:
Pathologisch wird eine Angst erst, wenn diese zu Einschränkungen und Belastungen im Alltag führt. Etwa 10 % der Kinder und Jugendlichen leiden unter Angststörungen. Diese stellen häufig
Übersteigerungen der entwicklungstypischen Ängste dar, grundsätzlich kann man jedoch Ängste vor allem möglichen entwickeln. Pathologische Ängste sind individuell verschieden, nicht unbedingt
rational erklär- und oft schwer greifbar (für die Kinder und Jugendlichen selbst!). Wie die Angst vor Staubsaugern. Für Cookie ein furchterregendes Monster. Für mich ein normales
Haushaltsgerät.
Ob und wie Cookie seine Ängste vor seiner Nemesis bewältigen kann, erfahrt ihr nächste Woche ;)