- Geschichten von der Angst Teil 2 -
Staubsauger. Das Monster hat also einen Namen. Sehr passend. Der Sauger des Vernichtens. Das vernichtende Saugen. Nicht einmal Staub bleibt übrig, wenn der Staubsauger wütet. Notdürftig sicher sitze ich auf meiner erhöhten Position und beobachte das Monster, wie es um mich herum den Staub vernichtet. Aber auch Krümel, Papierreste und Plastik. Sein Gebrüll dabei lässt mich immer noch bis ins Mark erzittern. Es spricht definitiv nichts dagegen, dass es auch etwas größere Brocken aufsaugen kann. Kleine Hunde zum Beispiel. Ich schlucke schwer.
Kurze Zeit später gibt es in der kleinen Küche nichts mehr zu zerstören, quälen oder vernichten und das Monster zieht Frauchen aus dem Raum, um woanders auf Beutejagd zu gehen. Ungläubig starre
ich den Beiden hinterher. Hat das Monster wirklich schon
aufgegeben?
Aus der Ferne höre ich dumpf das Grollen des Staubsaugers. Ich atme tief durch. Einatmen. Ausatmen. Ich lebe noch. Einatmen. Ausatmen. Ich bin in Sicherheit. Einatmen. Ausatmen Später werde ich mit Frauchen kuscheln und darüber lach.... STOPP! Frauchen! Das Monster hat sie ja noch in seiner Gewalt! Vor Schreck vergesse ich das mit dem tief durchatmen und verschlucke mich so gewaltig, dass ich beim husten fast vom Stuhl falle. Ich stabilisiere eilig meine Position in luftiger Höhe, indem ich mich hinlege. Gleichmäßige Gewichtsverteilung. Aber da war doch noch was? Achja. Atmen. Ganz wichtig. Einatmen. Ausatmen. Ich beruhige mich wieder etwas. Einatmen. Ausatmen. Kann ich einfach für immer hier sitzen bleiben und atmen? Und Frauchen einfach abschreiben? Ich finde, eigentlich müsste sie mich doch vor Monstern beschützen! Also selber schuld, wenn sie sich fangen lässt. Aber so ganz glücklich bin ich damit jetzt auch nicht. Ich blicke mich um. Nichts zu essen und trinken in der Nähe. Ich werde hier einsam und jämmerlich verhungern und verdursten. Bei meinem Hunger vermutlich innerhalb der nächsten 10 Minuten.
Ok. So kann das nicht weitergehen. Und ich erinnere mich an etwas. Ich bin ein Hund. Bester Freund und Beschützer des Menschen. Ich vernichte jeden Futternapf innerhalb von Sekunden und meine spitzen Zähne zerfetzen jedes Leckerli. Ich richte mich wieder auf und lausche in mich hinein. Höre ich da einen Wolf heulen? Ok. Nein. Mein Magen knurrt. An Fressen denken macht mich immer hungrig. Ich lausche wieder nach außen. Das Grollen des Monsters ist in der Ferne zu hören, aber es wütet unbeirrt weiter. Da fasse ich einen Entschluss. Ich muss Frauchen retten. Meinem Magen nach sollte sie mich nämlich wirklich dringend füttern! Ich nehme allen Stolz und Mut zusammen, den ich aufbringen kann und springe von meinem sicheren Platz auf den Boden. Als ich den Boden unter den Pfoten spüre und die Weite um mich herum sehe, die keinen Schutz mehr bietet überkommen mich Zweifel. Soll ich wieder zurück auf den Stuhl springen? Nachdenklich sehe ich nach oben. Das ist ganz schön hoch. Und ich bin so schwach und hungrig. Nein! Ich werde jetzt meinen Hund stehen und mein Frauchen beschützen! Zögerlich setze ich eine Pfote vor die andere. Vorsichtig verlasse ich den Raum und tapse weiter an das fürchtliche Grollen heran, das lauter und lauter wird, je weiter ich mich nähere.
Und da sehe ich sie. Das Monster hält Frauchen fest umschlungen und zieht sie hin und her. Sofort steigt Panik in mir auf. Ganz dumme Idee. Der Fluchtreflex erfasst mich und ehe ich darüber nachdenken kann, sitze ich wieder auf meinem Stuhl. Wie bin ich denn hierher gekommen? Das war aber nicht der Plan. Ich atme tief durch und ziehe meine Lefzen hoch, so dass meine spitzen, kleinen Reißzähnchen gut zur Geltung kommen. Ich bin ein Hund. Groß, gefährlich und Fleischfresser. Ich springe vom Stuhl und laufe aus der Küche. Ich bin ein Hund. Beschützer von Frauchen und Nachfahre von Wölfen und Kaninchen. Ich nähere mich auf schnellen Pfoten dem Ungetüm und belle, mit aller Inbrunst und so drohend und gefährlich wie ein furchteinflößender Kaninchenwolf: *wuff*
Ein kleiner, piepsiger Laut kommt aus meiner Kehle. Irritiert bleibe ich stehen. So war das aber nicht geplant. Das Monster hat den kleinen Wuffer gehört und zeigt sich ebenfalls nicht beeindruckt. Es hält mit dem Wüten inne und kommt langsam in meine Richtung. Ok. Jetzt oder nie. Ich werde nicht weichen! Ich belle drauflos und ich merke selbst, wie mein bellen eher einem panischen Kreischen gleicht, als dem, was ein Hund so macht, um Feinde zu verjagen. Aaaahh, vielleicht weiche ich doch. Schnell ziehe ich den Schwanz ein und tapse vorsichtig ein paar Schritte rückwärts. Aber ich bin stolz auf mich. Wenigstens tue ich das, während ich weiter kreischend belle. Ich bin eben doch ein richtiger Hund.
Und dann passiert es. Das Monster verstummt, lässt Frauchen los und fällt zu Boden. Vor Verblüffung bleibt mir das Bellen in der Kehle stecken. Habe ich das Monster wirklich besiegt? Der Staubsauger liegt reglos, ohne einen Mucks von sich zu geben, auf dem Boden. Frauchen kommt langsam auf mich zu, hebt mich hoch und flüstert mir beruhigend ins Ohr. Seelig lasse ich meinen Kopf auf ihre Schulter sinken. Ich habe Frauchen gerettet! Und jetzt wird sie mir vor lauter Dankbarkeit ein Riesenleckerli geben. Frauchen trägt mich zur Leckerlischublade und zieht tatsächlich ein mordsmäßiges Kauding heraus. Keine Ahnung was das ist, aber es riecht köstlich! Ich schnappe es ihr aus der Hand und sofort läuft mir der Sabber im Mund zusammen. Frauchen setzt mich auf meinen Platz und ich beginne sofort drauflos zu kauen. Das ist so lecker! Ich höre kaum noch, wie kurz darauf das Grollen wieder einsetzt und Frauchen mit dem Staubsauger ihre Bahnen zieht. Die sollen nur meinen Platz in Ruhe lassen! Und wenn ich will, kann ich Frauchen jederzeit wieder befreien.
Blöder Staubsauger.
In der Verhaltenstherapie ist Konfrontation das Mittel der Wahl, um Ängste abzubauen. Die Konfrontation kann dabei in "echt", aber auch nur in Gedanken stattfinden.
Durch die Konfrontation erlebt man, dass die angstbesetzte Situation nie so schlimm ist, wie man sich das im Kopf ausmalt (Der Staubsauger frisst Cookie eben doch nicht!) und dass man die Angst aushalten kann und sie mit der Zeit weniger wird. Dabei können einem Atemübungen, aber auch Ablenkung helfen und sogenannte Mutsprüche oder hilfreiche Gedanken.
Bei klar umgrenzten Ängsten, die noch nicht lange bestehen, kann die einfache Entscheidung, sich seinen Ängsten zu stellen schon ausreichen, um diese zu besiegen. Bei anderen ist ein längeres, abgestuftes und begleitetes Vorgehen nötig. Die hier dargestellte Entwicklung von Cookie hat tatsächlich mehrere Jahre gedauert. Heute ignoriert er den Staubsauger und versucht auch nicht mehr mich vor ihm zu beschützen. Er will einfach nur von ihm in Ruhe gelassen werden. Wir können nicht erwarten, dass wir das was uns Angst macht, irgendwann lieben, oder es gerne tun. Aber wir können einen Weg finden, damit zu leben und uns von der Angst nicht einschränken zu lassen.
Es gibt auch Ängste, bei denen eine direkte Konfrontation schwierig ist, weil sich die Angst fast hauptsächlich im Kopf abspielt. Oder weil die Ängste zu diffus und komplex sind, um eine Konfrontationssituation herstellen zu können, die auch zu einer Reduktion der Ängste führt. In der nächsten Episode wird deshalb es um eine Art solcher Ängste gehen: Trennungs- oder Verlustängste.