> Geschichten rund um Traumata und deren Bewältigung Teil 1 <
Ich grabe. Unermüdlich buddel ich im Untergrund, bis ich den Eindruck habe eine kuschelige Mulde geschaffen zu haben. Dann werfe ich mich schwungvoll hinein. Seltsam. Ich rutsche auf dem Rücken hin und her und suche nach der Mulde. Da ist keine! Ich richte mich wieder auf und grabe weiter. Ich habe anscheinend einfach nicht genug gebuddelt.
So das reicht. Ich werfe mich erneut schwungvoll auf den Rücken und kuschel mich in die Mulde. Aber es klappt einfach nicht. Ich setze mich wieder auf und starre den Teppich frustriert an. Der will mich doch ärgern. "Na warte, dir zeig ichs!", denke ich mir und beginne erneut mit vollem Einsatz zu graben.
"Cookie! Hör auf, das nervt!", kommt daraufhin ein Ruf von irgendwo hinter mir. Ich halte mit dem Buddeln inne, setze mich hin und seufze frustriert. Jetzt hat Frauchen meinen Flow gestört. Ich blicke zu ihr und meinem Freund, mit dem sie am Tisch sitzt und beobachte die beiden kurz in ihrem Gespräch. Langweilig. Was mach ich denn jetzt? Ich erhebe mich und trotte langsam durch den Raum. Als ich bei meinem Freund angekommen bin, lasse ich mich zu seinen Füßen auf den Boden fallen und lege den Kopf auf meine Pfoten.
Mein Freund erzählt gerade eine Geschichte. Ich glaube es ist seine eigene. Und die ist ziemlich traurig. Ich höre es an seiner Stimme. Ich sehe seinen Fuß vor meiner Nase unruhig hin und her wippen. Ich überlege gerade, ob ich zur Beruhigung das kleine Stückchen Haut zwischen Socke und Hose vor meiner Nase abschlecken soll, als der Fuß vor mir plötzlich erstarrt und sich nicht mehr bewegt. Ich hebe den Kopf. Mein Freund hat aufgehört zu sprechen. Irgendetwas stimmt nicht. Ich richte mich auf und sehe wie die Hände meines Freundes unkontrolliert zu zittern beginnen, während er mit leerem Blick durch mich hindurchstarrt. Ich stupse mit der Nase gegen sein Bein, aber er reagiert nicht. Mein Freund beginnt immer schneller zu atmen und reagiert auch nicht auf Frauchens Stimme, die seinen Namen ruft. Ich blicke zu Frauchen. Frauchen blickt zurück. Das ist ein Notfall!
Ich muss Frauchen nichts weiter sagen. Ohne ein weiteres Wort setzt sie mich auf den Schoß meines Freundes und ich beginne sofort damit, nach seiner Nase zu schlecken, während ich mich eng an ihn drücke. Der Blick meines Freundes wird klarer, er blickt mich an und drückt mich eng an sich. Während ich mit vollem Einsatz meiner Zunge drauflos schlecke, spricht Frauchen mit ruhiger Stimme weiter auf meinen Freund ein.
"Befühle das Fell zwischen deinen Fingern. Wie fühlt es sich an?"
"Es ist ... weich.", bringt mein Freund schließlich über die Lippen. Ich spüre, wie er etwas ruhiger wird und sich das Chaos, das in ihm tobt langsam legt.
"Beschreib mir die Farbe des Bodens, auf dem deine Füße stehen."
Mein Freund blickt an mir vorbei und sagt mit leicht zitternder Stimme: "Braun."
Frauchen sagt: "Du machst das sehr gut. Schau mich an. Weißt du wo du hier bist?"
Mein Freund nickt. "Gut. Welchen Tag haben wir heute?", spricht Frauchen weiter.
Nach kurzem Überlegen nennt mein Freund das Datum. Seine Stimme zittert nicht mehr. Ich höre auf zu schlecken und springe aus seinen Armen zurück auf den Boden.
"Sehr gut. Du bist in Sicherheit. Komm, lass uns aufstehen." Frauchen steht auf, reicht meinem Freund die Hand und hilft ihm vom Stuhl hoch. Gemeinsam gehen wir zu dritt eine Runde durch den Raum, während mein Freund Datum und Ort wiederholt und schließlich zu sich selbst sagt: "Ich bin in Sicherheit."
Manchmal wenn man Schlimmes erlebt hat, passiert so etwas. Dann steckt man in seiner eigenen Geschichte fest und erlebt diese noch einmal. Aber ich weiß zum Glück, wie ich meinen Freunden dann helfen kann. Ich hole sie aus ihrer Geschichte im Kopf zurück in das Hier und Jetzt. Darin bin ich richtig gut. Warum das manchmal passiert, weiß ich aber nicht so richtig. Das soll besser Frauchen mal erklären.
Wie durch Zufall bleibe ich bei unserer Runde vor der Leckerlischublade stehen, setze mich hin und blicke meinen Freund und Frauchen erwartungsvoll an. Frauchen bleibt ebenfalls stehen und fragt meinen Freund, ob sie mir denn ein Leckerli geben sollen. Mein Freund lächelt mich an und nickt. Ich liebe meinen Job.
Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden darunter, dass sich Erinnerungen an das traumatische Ereignis immer wieder aufdrängen, und zwar in Form von Alpträumen, Flashbacks und aufdringlichen Bildern, obwohl sie versuchen, die Erinnerungen wegzuschieben und sie heute sicher sind. Der Kern des Störungsbildes liegt in der Wahrnehmung einer weiterbestehenden Bedrohung.
Während "normale" Erinnerungen eine klare Zuordnung zu "damals und dort" erlauben, haben intrusive Erinnerungen eine "Hier-und-jetzt-Qualität". Die Erinnerung wird erlebt, als würde es gerade passieren. Deshalb spricht man in diesem Kontext auch von "Wiedererleben" als Symptom. Dabei ist das bewusste Abrufen der Erinnerungen oft gestört, während die "Flashbacks" auch ungewollt erscheinen und meist zu starkem (auch gedanklichem) Vermeidungsverhalten führen. Dazu gibt es eine recht eindringliche Metapher: Versuche einmal einen Wasserball unter Wasser zu drücken. Das ist gar nicht so einfach. Um ihn unter Wasser zu halten muss man viel Konzentration und Kraft aufbringen und irgendwann wird er unter den Händen hervorflutschen und aus dem Wasser in die Luft springen.
In manchen Fällen kommt es bei einem Flashback auch zur Dissoziation, wie es Cookies Freund in der Geschichte passiert ist. Dissoziation heißt, dass integrative Funktionen des Bewusstseins, der Wahrnehmung der Welt, des Selbst und des Gedächtnisses unterbrochen werden. In der traumatischen Situation kommt es reflexhaft zu einer solchen Unterbrechung integrativer Funktionen, das ist ein Schutzmechanismus des Organismus.
In der Stunde hat Cookie mit meiner Unterstützung seinen Freund aus seinen dissoziativen Erlebnissen zurück in das Hier und Jetzt geholt. Dabei haben sensorische Reize, die Einordnung wo und wann er sich befindet sowie die Mobilisierung geholfen.