Es klingelt nicht. Schon länger nicht mehr. Ich liege auf meinem Kissen und lausche gespannt. Aber ich höre nur das Klackern von Frauchen auf ihrer Tastatur. *Klackertackerkack* Na dann bleib ich halt weiter liegen.
Es dauert nicht lange und die Welt vor meinen Augen verschwindet. Hallo Traumwelt! Hier springe ich mit meiner Hundefreundin über Wiesen und Felder, es riecht nach Leberkassemmel und überall stehen Kinder und warten darauf mir den Bauch streicheln zu dürfen. Und die streicheln alle auch noch wie Profis, so nicht zu fest, aber auch nicht zu leicht. Mmmmh. Wenn ich eine Katze wäre, würde ich jetzt sowas von schnurren. Ich renne von einem Streichelprofi zum nächsten und nehme im vorbei laufen noch eine köstlich duftende Lebeskassemmel mit. Ein Traum!
Aber leider wirklich nur ein Traum, wie mir schmerzlich bewusst wird, als ich unsanft aus dem Schlaf gerissen werde. Frauchen streichelt meinen Rücken und fragt mich, was denn los sei? Dabei macht sie eine Miene wie eine Helikoptermutter vom Feinsten. Normalerweise ist das ja sehr praktisch, mit diesem Helikoptermuttidingens – da hebste einfach mit jämmerlichem Blick eine (egal welche) Pfote in die Luft und sofort hast du die uneingeschränkte Aufmerksamkeit und musst nicht mehr selber laufen, falls du keinen Bock dazu hast. Jetzt gerade empfinde ich das aber doch als etwas unpraktisch. „Was los ist? Ich hab geschlafen!“ Ich gähne und versuche mich an die leberkas- und kinderfreie Umgebung erst einmal zu gewöhnen. Manchmal wenn ich träume, dann quietsche ich wohl ein wenig und zappel auch ein bisschen, kein Grund zur Beunruhigung. Frauchen ist aber definitiv beunruhigt und intensiviert das Gestreichel. „Ja… also, jetzt wo du schon mal da bist …“ Schnell drehe ich mich auf den Rücken und präsentiere mit armseligem Knuddelblick mein Bäuchlein. Frauchen beginnt auch sofort dort weiter zu streicheln. Braves Frauchen. Viel zu schnell ist sie aber schon wieder davon überzeugt, dass mir keine akute Lebensgefahr mehr droht und geht zurück zu ihrem Tastaturgeklacker. Ich bleibe noch ein wenig hilflos guckend auf dem Rücken liegen, aber Frauchen beachtet mich nicht weiter. Naja, man kanns ja mal versuchen.
Ich drehe mich wieder so, wie es sich für einen stolzen Hund gehört – Füße nach unten – und gähne noch einmal ausgiebig. So, ich bin wach. Und jetzt? Immer noch keine Klingel. Nix los hier. Ich gähne ein weiteres Mal. Und dann weiß ich auch nicht mehr was ich noch machen soll. Mein Blick schweift über meine Plüschtierarmee – langweilig. Frauchen – beschäftigt. Mülleimer – nix drin. Frauchens Handtasche – kein Interesse. Der Wassernapf – uninteressant. Wenn das so weitergeht dehydriere ich noch. Ok, das sollte ich vielleicht kurz erklären: Ich könnte schon etwas trinken, aber wenn ich niemand begrüße macht das bei weitem nicht so viel Spaß. Ich seufze frustriert. Frauchen hört auf zu tippen und dreht ihren Kopf zu mir: „Was ist denn los Bärchen?“
Ja nix ist los! Genau das ist ja das Problem! Aber erklär das mal einem Zweibeiner. Die glauben sie verstehen einen und machen dann im schlimmsten Fall irgendwelche Geschichten daraus. (Anmerkung der Autorin: Ups 😉) Ich werd dir sagen was los ist! Ich fühl mich einsam. Verlassen. Niemand liebt mich! Es kommt mich überhaupt niemand mehr besuchen. Irgendjemand anders futtert mir die ganzen Leberkassemmeln weg und meine ganzen Freunde haben anscheinend jemand anderen zum Streicheln gefunden. Ich hasse mein Leben. Alles was mir noch bleibt ist schlafen. Und nicht einmal das sei mir vergönnt. Das ist los! „Verstehst du?“, frage ich Frauchen stumm und blicke sie herausfordernd an. Frauchen blickt zurück. Ihr Mund verzieht sich zu einem Lächeln.
„Komm her.“, sagt sie und streckt mir ihre Arme entgegen. Eigentlich vermisse ich ja meine Freunde und nicht Frauchen. Die ist ja da, also meistens zumindest körperlich. Aber besser als nichts oder? Mit hängendem Schwanz und hängenden Ohren trotte ich in Richtung Frauchen. Ganz langsam, um klarzustellen wie dreckig es mir geht. Sie nimmt mich in den Arm und setzt mich auf ihren Schoß. Ihre Wärme vertreibt das Gefühl der Einsamkeit und ich stelle fest, dass ich mit ihr auch gar nicht so allein sein muss. Wenn sie nur nicht immer so beschäftigt wäre! Ich will es mir gerade in dieser kuscheligen Wärme gemütlich machen, da drückt mir Frauchen einen Kuss auf die Nase. So richtig ekelhaft mit lautem Schmatzer. „Sag mal , spinnst du?“ Ich hasse das! Meine Kuschellaune ist genauso schnell verflogen, wie das Gefühl der Einsamkeit. Unauffällig reduziere ich meine Körperspannung so weit, bis ich wie ein nasser Sack vom Schoß auf den Boden rutsche. Die hat sie doch nicht mehr alle. Knutsch lieber deine blöde Tastatur, du Tierquälerin. Ich trotte mies gelaunt zu meinem Platz zurück und setze mich hin.
Es ist niemand da. Also abgesehen von Frauchen, aber die kann so nerven, echt. Es muss jetzt doch endlich mal klingeln! Erwartungsvoll lausche ich in Richtung Tür.
Die Coronakrise hat uns alle erfasst und unser Leben deutlich umgekrempelt. Auch wenn nun viele Einschränkungen gelockert werden, ist noch lange nichts wie vorher. Hunde wie Menschen brauchen ihre Freunde und das gilt besonders für Kinder und Jugendliche. Sie sind von den Kontaktbeschränkungen besonders betroffen. Freunde treffen findet nur in eingeschränktem Rahmen statt und die Schule als Ort der täglichen Begegnung fällt aus. Keine Pause, kein Sport, kein Plausch mit dem Sitznachbarn. Auch die Kindergartenkinder dürfen immer noch nicht alle wieder in ihre Gruppen zurückkehren. Und besonders die Kleinsten können auch nicht einfach alternativ einen Videochat mit ihren Spielpartnern starten. Wer nicht wenigstens (nervige) Geschwister hat, der hat zum Teil gar niemanden mehr. Kinder und Jugendliche brauchen ihre Freunde und können nicht einfach monatelang darauf verzichten.
Mal abgesehen von den „normalen“ Problemen durch Einsamkeit und Langeweile, haben besonders psychisch kranke Kinder und Jugendliche zu kämpfen. Wie soll man aus einem depressiven Tief kommen, wenn im-Bett-liegen-und-grübeln die einzige Option bleibt und nicht einmal die Schule einen noch dazu zwingt, das Haus zu verlassen? Wie soll man Ängste abbauen, wenn die Erwachsenen um einen herum selbst völlig hysterisch werden, die Nachrichten streiten, wie Tote gezählt werden sollen und Verschwörungstheorien über das große Ganze immer mehr Verbreitung finden? Wie sollen ADHS-Kinder sich selbst strukturieren und das Chaos des Homeschoolings bewältigen, wenn Lehrer und Eltern teilweise schon damit überfordert sind? Die Liste lässt sich ewig fortführen. Aber was können wir tun? Soziale Kontakte ermöglichen, wenn es geht. Sich auch gerade bei Freunden melden, von denen man nichts gehört hat. Insbesondere wenn ihr wisst, dass es ihnen vielleicht nicht so gut geht. Wenn das Homeschooling nur zu Streit in der Familie führt, dann sollte man die Lernzeiten unbedingt eingrenzen. Und was nicht geschafft wurde, ist halt dann so. Niemand kann erwarten, dass Schüler und Eltern einfach so die Schule ersetzen können. Die Isolation bietet nämlich auch viel Potential für die innerfamiliären Beziehungen, wenn man dieses nutzen kann.
Wichtig ist jetzt die Nutzung und Stärkung von Ressourcen, bei sich, in der Familie und im Freundeskreis. Sehr gut gelungen dafür finde ich die Home-Rallye
von der Psychotherapeutin Melanie Gräßer. Benötigt wird dafür nur ein Drucker, evtl. Tesafilm, Spielfiguren und ein Würfel. Das Spiel gibt es auch übersetzt in verschiedenen Sprachen auf ihrer
Homepage zum Download (externer Link).
Außerdem hat der Beltz Verlag (externer Link) für die Coronakrise Ressourcenübungen aus verschiedenen therapeutischen Materialien kostenlos zum Download zur Verfügung gestellt. Die Übungen sind gut erklärt und können auch ohne Anleitung eines Therapeuten zu Hause genutzt werden.